16 Oktober 2022

Chancengleichheit für alle Immobilienverträge mit dem öffentlichen Sektor

Kategorie: Immobilienrecht, Vergaberecht

Am 26. November 2021 verkündete der Oberste Gerichtshof  der Niederlande ein Urteil (ECLI:NL:2021:1778 / Didam-Urteil – In Holländisch) über die Art und Weise, wie der öffentliche Sektor Parteien beim Verkauf von Immobilien auswählen muss. Für Grundstücksverkäufe, aber auch für andere Verträge, beispielsweise in Bezug auf Miete oder Erbpacht soll Chancengleichheit herrschen. Das niederländische Ministerium für Inneres und Königsreichsbeziehungen hat ein Factsheet (In Holländisch) erarbeitet (Factsheet uitgifte van onroerende zaken en het bieden van gelijke kansen – Factsheet zur Verwertung/Veräußerung von Immobilien und zur Gewährleistung der Chancengleichheit).

Dort werden die Fragen aus dem öffentlichen Sektor in Bezug auf das Urteil des Hoge Raad vom 26. November 2021 beantwortet, vor allem wie Immobilien der öffentlichen Hand verwertet/verkauft werden müssen. Laufende Verhandlungen über Immobilientransaktionen müssen ausgesetzt werden. Was ergibt sich aus diesem Factsheet? Und wie kann eine benachteiligte Partei aktiv werden?

Auswahlverfahren für Immobilientransaktionen muss Chancengleichheit bieten

Der öffentliche Sektor muss auf der Grundlage dieses Didam-Urteils (möglichen) interessierten Parteien in Hinsicht auf eine Immobilie (den Anspruch darauf) Raum für Wettbewerb bieten, sofern es für den Kauf (oder eine andere Transaktion) bezüglich der betreffenden Immobilie mehrere interessierte Parteien gibt. Wenn nach billigem Ermessen davon ausgegangen werden kann, dass es nur eine ernsthaft interessierte Partei gibt, kann auf das Verfahren verzichtet werden. Die Stelle des öffentlichen Sektors darf der (möglichen) Vertragspartei allerdings Kriterien auferlegen. Die Auswahlkriterien für geeignete Kandidat:innen müssen angemessen, objektiv und für das Gericht nachprüfbar sein und zudem rechtzeitig bekanntgegeben werden. Alle Kandidat:innen müssen auf die gleiche Weise behandelt und informiert werden.

Verhandlungen über Immobilientransaktionen müssen neue Kriterien erfüllen

Wenn der öffentliche Auftraggeber über eine Immobilientransaktion verhandelt, muss geprüft werden, ob die neuen Kriterien nach dem sogenannten Didam-Urteil anzuwenden sind. Andere an der Transaktion interessierte Parteien können sich auch bei der jeweiligen Stelle der öffentlichen Hand melden. Wenn die Stelle der öffentlichen Hand einen Vertrag mit einer nicht ordnungsgemäß ausgewählten Partei schließt, kann diese Stelle den anderen interessierten Parteien gegenüber haftbar gemacht werden. Die Verhandlungen können also ausgesetzt werden und falls es doch mehrere ernsthaft interessierte Parteien gibt, muss das Auswahlverfahren nachträglich durchgeführt werden. Unter Umständen aber kann der Abbruch von Verhandlungen eine rechtswidrige Handlung gegenüber der jeweils anderen Partei in der Verhandlung sein.

Verfahren zur Chancengleichheit auch bei anderen Verträgen

Die öffentlichen Stellen müssen nicht nur beim Verkauf von Immobilien Chancengleichheit bieten, sondern auch bei anderen Verträgen über Immobilien. In dem Factsheet wird dies relativ zurückhaltend formuliert:

Angesichts dieser allgemeinen Formulierung muss sorgfältig berücksichtigt werden, dass das Urteil auch für Folgendes wichtig sein kann: andere Formen der Verwertung von Grundstücken wie Erbbaurechte und Baurechte, aber auch für persönliche Nutzungsrechte wie Miete, Tausch, Überlassung, Pacht und andere (auf die Entwicklung und Realisierung von) Immobilien bezogene Verträge wie öffentlich-private Kooperationsverträge, in denen solche Rechte eingeräumt werden.

Unserer Ansicht nach gilt die Verpflichtung bezüglich eines transparenten Verfahrens mit Chancengleichheit für alle von den öffentlichen Stellen immobilienbezogenen Verträge. Bei einem Auswahlverfahren gilt keine Untergrenze. Fazit: Selbst bei einer Immobilie mit einem geringen Wert oder einen Vertrag mit relativ geringer finanzieller Bedeutung muss das Auswahlverfahren durchgeführt werden. Das ist nur dann nicht der Fall, wenn für eine Ausschreibung andere Regeln gelten.

Einreichung einer Beschwerde bei Nichteinhaltung des Immobilien-Auswahlverfahrens

In Kapitel 5.3 meines Buchs „De strijd om schaarse vergunningen (In Holländisch) – Der Kampf um knappe Genehmigungen) – erörtere ich umfassend die Verfahren, die drohen können, wenn das ordnungsgemäße Auswahlverfahren missachtet wird oder wenn Fehler beim Auswahlverfahren gemacht werden. Selbstverständlich kann die an einem Immobilienvertrag  interessierte Partei direkt bei der öffentlichen Stelle Beschwerde einlegen, wenn sie vermutet, dass das Auswahlverfahren nicht beachtet wird oder Fehler bei der (Art und Weise der) Auswahl gemacht werden. Falls eine Beschwerde seitens der zuständigen Stelle nicht zeitnah ernsthaft bearbeitet wird, kann das Gericht eingeschaltet werden, wenn die Chancengleichheit nicht sichergestellt ist oder ein Schaden oder eine irreversible Situation droht.

Eilverfahren zur Aussetzung des Auswahlverfahrens

Manchmal ist ein Eilverfahren notwendig, wenn eine dringende Situation vorliegt und beispielsweise eine irreversible Situation droht, in der eine schnelle Gerichtsentscheidung erwünscht ist. Das für einstweilige Verfügungen zuständige Gericht kann dann eine vorläufige Entscheidung treffen und einen Rechtsbehelf oder eine Maßnahme anordnen. Das Gericht, das im Hauptverfahren entscheidet, ist nicht an die vorläufige Entscheidung gebunden. Das Gericht prüft nun, ob ein Grund vorliegt, bei dem Auswahlverfahren einzugreifen. Dabei kann es sich beispielsweise um Folgendes handeln:

  • Anordnung zur Befolgung eines (vorgeschriebenen) Auswahlverfahrens;
  • Aussetzung eines unrechtmäßigen Verfahrens;
  • Außerkraftsetzung oder Unverbindlichkeitserklärung rechtswidriger Vorgaben (Verordnung oder Bestimmungen);
  • Erlaubnis, dass auf der Grundlage bereits abgelaufener Genehmigungen eine Aktivität dennoch vorläufig fortgesetzt werden darf.

Hauptsacheverfahren wegen Fehler beim Auswahlverfahren

Ein Zivilgericht wird angerufen, wenn es um die Vergabe oder das Verfahren von Verträgen geht (Zivilverfahren). Insbesondere auch dann, wenn noch kein Beschluss vorliegt, aber eine (drohende) rechtswidrige Situation gegeben ist. Rechtswidrigkeit ist die Grundlage, auf der die Forderung beim Zivilgericht beruhen muss. Eine solche Rechtswidrigkeit kann vorliegen, wenn kein transparentes Auswahlverfahren durchgeführt wird, wenn unangemessene Auswahlkriterien festgelegt werden, wenn interessierte Parteien zugelassen werden, die die Auflagen nicht erfüllen, wenn unzureichende oder unrichtige Informationen erteilt werden, wenn interessierte Parteien ungleich behandelt werden usw. Außerdem entscheidet ein Zivilgericht immer dann über Schadenersatz, wenn festgestellt wird, dass das Verfahren rechtswidrig ist und/oder eine Entscheidung von einem Gericht aufgehoben wurde und diese aufgehobene Entscheidung gilt dann als rechtswidrig. Ein Verwaltungsgericht ist ausschließlich befugt, einen Schadenersatz bis zu einer Höhe von 25.000,- € zuzuerkennen.

Tipps zu Fehlern bei der Vergabe von Immobilienverträgen

  • Weisen Sie die öffentliche Stelle auf die Nichtbeachtung der ordnungsgemäßen Verfahren hin, wenn ein Immobilienvertrag unberechtigterweise privat abgeschlossen wurde;
  • Ergreifen Sie sofort Maßnahmen, wenn ein Auswahlverfahren nicht ordnungsgemäß verläuft;
  • Informieren Sie die Organisation des Auswahlverfahrens umgehend über Fehler oder andere Auffälligkeiten.

Wenden Sie sich ganz unverbindlich an Blenheim, wenn Sie weitere Informationen zur Chancengleichheit bei Immobilienverträgen und Auswahlverfahren wünschen.