14 November 2022

Entlassung wegen Betriebsaufgabe: Wann spricht man von einem selbständigen Unternehmen?

Kategorie: Entlassung

Bei einer Umstrukturierung oder einer betriebsbedingten Massenentlassung sind arbeitsunfähige Arbeitnehmer:innen grundsätzlich durch das Kündigungsverbot bei Krankheit geschützt. Eine Ausnahme besteht für den Fall einer kompletten Betriebsaufgabe. In diesem Fall darf der Arbeitgeber auch die Arbeitsverträge mit den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer:innen nach Genehmigung durch das UWV (Trägeranstalt für Arbeiternehmerversicherungen) kündigen. In allen anderen Fällen, einschließlich der teilweisen Betriebsaufgabe, gilt das Kündigungsverbot bei Krankheit.

Es ist nicht immer klar, ob es sich um eine vollständige Betriebsaufgabe oder nur um die Aufgabe eines Geschäftsbereichs handelt. Hierfür muss man wissen, ob es sich um ein so genanntes „selbständiges“ Unternehmen handelt. In einem kürzlich ergangenen Urteil des Bezirksgerichts Nordholland spielte diese Frage ebenfalls eine Rolle. In dieser Rechtssache entschied der Gerichtshof kurz gesagt, dass man nicht von einem selbständigen Unternehmen sprechen könne und daher – dementsprechend – der Arbeitsvertrag mit einem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer nicht gekündigt werden dürfe. Das Kündigungsverbot bei Krankheit stand dem im Wege. Im Folgenden gehen wir auf die relevanten Aspekte dieses Urteils ein.

Der Kasus: MediaMarkt Zaandam

Der Mitarbeiter ist seit 2010 bei MediaMarkt Zaandam beschäftigt. Die Media Markt Saturn Holding B.V. (im Folgenden auch Holding genannt) hält 100% der Anteile am MediaMarkt Zaandam sowie an den anderen niederländischen MediaMarkt-Filialen. Der Arbeitnehmer fällt im Jahr 2019 wegen Arbeitsunfähigkeit aus. Im Juni 2021 wird auf eine Wiedereingliederung in einem anderen Betrieb (in der sogenannten „zweiten Spur“) hingearbeitet. Inzwischen sind die Besucherzahlen im MediaMarkt Zaandam rückläufig, so dass das Geschäft unrentabel ist. Daraufhin wird beschlossen, dieses Geschäft zu schließen.

Die Mitarbeiter:innen werden im April 2021 darüber informiert, dass der MediaMarkt Zaandam am 1. Mai 2021 seine Pforten schließen wird. Ende Juni 2021 wird für den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer die Genehmigung des UWV zur Beendigung des Arbeitsvertrags aus betriebsbedingten Gründen beantragt. Diese Genehmigung wird vom UWV verweigert, da keine komplette Betriebsaufgabe vorliegt und deshalb das Kündigungsverbot bei Krankheit gilt. Laut UWV ist MediaMarkt Zaandam als Teil der Media Markt Saturn Holding B.V. zu betrachten, und diese Gesellschaft wird auch weiterhin bestehen. MediaMarkt Zaandam kann dieser Einschätzung des UWV nicht zustimmen und wendet sich an das Bezirksgericht Nordholland.

Urteil des Niederländische Gerichts

Als Nächstes befasst sich das Gericht mit der Frage, ob MediaMarkt Zaandam als selbständiges Unternehmen zu betrachten ist. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass man von einem selbständigen Unternehmen sprechen kann, wenn es sich um eine Gesamtheit organisierter Ressourcen mit eigener Identität handelt, die zur Ausübung einer hauptsächlich wirtschaftlichen oder sonstigen Tätigkeit bestimmt sind, bei der die Möglichkeit besteht, relativ frei und unabhängig zu handeln.

Dies sollte bei der Beantwortung der Frage, ob MediaMarkt Zaandam als unabhängiger Teil der Holding zu betrachten ist, berücksichtigt werden. Das Gericht urteilt, dass das Vorhandensein eines unabhängigen Unternehmens nicht ausreichend nachgewiesen wurde. Es verhält sich sogar so, dass die Einlassungen seitens MediaMarkt Zaandam in dem Verfahren auf eine gewisse Verflechtung schließen lassen. So hat sich beispielsweise herausgestellt, dass der Betriebsrat der Holding bei der Entscheidung über die Schließung des MediaMarktes Zaandam um Rat gefragt wurde, dass die Holding Mieterin der Geschäftsräume des MediaMarktes Zaandam war, dass die Lohnabrechnung und die Buchhaltung des MediaMarktes Zaandam von der Holding durchgeführt wurden und dass der Vertrag mit dem Arbeitsschutzdienst (Arbodienst) im Zusammenhang mit der Wiedereingliederung (u.a.) des betreffenden Mitarbeiters ebenfalls mit der Holding geschlossen wurde. Dies zeigt ganz klar, dass die Holding und MediaMarkt Zaandam stark miteinander verflochten waren. Nach Ansicht des Gericht bedeutet dies nun, dass es sich nicht um ein unabhängiges Unternehmen handeln kann. Daher gilt das Kündigungsverbot bei Krankheit in vollem Umfang, und das UWV hat zu Recht keine Genehmigung zur Kündigung des Arbeitsvertrags erteilt.

Selbstständiges Unternehmen bei Umstrukturierung

Nicht nur bei der Entlassung eines arbeitsunfähigen Arbeitnehmers ist es von Bedeutung, ob es sich um ein selbständiges Unternehmen oder einen selbständigen Geschäftsbereich handelt. Auch die Frage, welche Arbeitnehmer:innen im Falle einer Umstrukturierung oder einer anderen betriebsbedingten Kündigung zur Entlassung vorgeschlagen werden sollen, spielt eine Rolle. Denn wenn das Unternehmen nicht unabhängig ist, muss geprüft werden, welche Arbeitnehmer:innen der gesamten Belegschaft des Unternehmens für eine Entlassung in Frage kommen. In einem Unternehmen mit mehreren Niederlassungen kann dies bedeuten, dass auch die Mitarbeiter:innen an anderen Standorten berücksichtigt werden müssen. Das bedeutet, dass man sich zunächst von allen Zeitarbeitskräften und Arbeitskräften mit befristeten Verträgen verabschieden muss, unabhängig davon, an welchem Standort diese Kräfte arbeiten. Danach muss das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf die Arbeitnehmer:innen der verschiedenen Standorte angewandt werden, wobei die Arbeitnehmer:innen in den verschiedenen Altersgruppen mit der kürzesten Betriebszugehörigkeit als erste für eine Entlassung in Frage kommen – unabhängig davon, ob sie an dem Standort, der umstrukturiert werden soll, arbeiten.

Einschalten eines Niederländische Anwalts für Arbeitsrecht

Im Falle einer Umstrukturierung oder (teilweisen) Betriebsaufgabe muss immer besonders darauf geachtet werden, ob es einen selbständigen Geschäftsbereich betrifft. Dies ist nicht nur für die Position der arbeitsunfähigen Arbeitskräfte relevant. Diese Einstufung kann auch eine wichtige Rolle bei der Frage spielen, welche Arbeitnehmer:innen aus dem Arbeitsvertrag entlassen werden können. Es ist ratsam, dies vorab deutlich darzustellen. Haben Sie Fragen zum Verhältnismäßigkeitsprinzip oder zur Stellung einer arbeitsunfähigen Arbeitskraft im Falle einer betriebsbedingten Kündigung? Dann wenden Sie sich bitte an eine unserer Anwältinnen aus dem Arbeitsrechtsteam.